Die Liaison mit einem Narzissten scheint gern erst mal großartig. Für die (weibliche) Psyche ist sie aber eine gefährliche Angelegenheit. Luise, 43, über ihren Weg der Ablösung.
Wenn man im Moment über Narzissmus redet, dann fällt jedem Hobbypsychologen gleich Trump ein. Oder Erdogan, Assad, Kim Jong-un – einer dieser größenwahnsinnigen Typen eben, die mit ihrem Geltungsdrang gerade den Weltfrieden gefährden.
Wenn alle männlichen Narzissten so leicht zu erkennen wären, dann hätten vermutlich nicht so viele Frauen ein Beziehungstrauma sitzen (apropos, wie wäre es mit einer Uniform, bestehend aus schlecht sitzenden blauen Krawatten, Solariumbräune und orange gefärbten Haaren?!). In diesen wunderbaren Weiber-Runden, in denen wir zusammen essen, Wein trinken und so offen sind wie selten, erkennen wir Versehrten uns ziemlich schnell. „Ein Narzisst, du weißt schon“, sagt die eine über ihre unglückliche Liebe. Und die andere nickt wissend.
Natürlich gibt es auch narzisstische Schwestern oder Chefinnen. Oder die Bekannten, die uns auf Instagram mit ihrer Selbstinszenierung auf den Keks gehen. Aber nirgendwo erwischen uns Narzissten so eiskalt wie in einer Liebesbeziehung, in der ja idealerweise Herz, Seele und unsere kindliche Bedürftigkeit völlig offenliegen.
Sebastian habe ich nicht auf den ersten Blick als Narzissten enttarnt – auch nicht auf den zweiten und dritten. Vermutlich wusste ich damals, in meinen Zwanzigern, aber auch noch gar nicht, was das ist. Zunächst war da nur der Typ, den ich einmal in der Woche im Politik-Proseminar traf. Gut, mit seinen blonden Locken und den mädchenhaft langen Wimpern fiel er voll in mein Beuteschema. Aber er war auch klug und auf eine reizvolle Art undurchsichtig. Außerdem zeichnete er, wenn ihm langweilig war, fantastische Comics in sein Ringbuch. Das bekam ich mit, weil ich mich nach einer Weile wie selbstverständlich auf den Klappsitz neben ihm fallen ließ. Nicht dass er mich dazu eingeladen hätte – dazu war er zu cool –, aber es schien ihn auch nicht zu stören. Wir verstanden uns, tauschten Aufzeichnungen aus, wir tranken auf Semesterpartys zusammen Bier und eines Samstagnachts ging ich mit zu ihm.
Ich kann mich nicht mehr an die Einzelheiten dieser ersten Nacht erinnern. Ich weiß nur noch, dass ich ziemlich schnell am Haken hing. Während der kurzen Liebeleien davor waren mir die jungen Männer immer recht schnell auf den Geist gegangen. Hier dagegen war einer, für dessen Zuwendung und Zustimmung ich mich ins Zeug legen musste, die ich nicht einfach so aufdrehen konnte wie das Warmwasser im Waschbecken. Dafür schien er die Finger an meinem Temperaturregler zu haben. Wenn er sich erst drei Tage nach einer gemeinsamen Nacht wieder meldete, tat ich zwar äußerlich cool – aber innerlich brannte ich lichterloh.
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Warum ich das Anrufen so oft ihm überließ, weiß ich nicht. Es waren unsere Spielregeln – und ich war noch ziemlich beziehungsunerfahren. Ich habe später zu analysieren versucht, was dieses Spielchen mit meinen frühen Erfahrungen zu tun hatte; mit meinem eitlen, unabhängigen Vater und meiner Mutter, um deren Liebe ich oft kämpfen musste. Damals aber verliebte ich mich ernsthaft in Sebastian, zeigte ihm das auch – und war entsprechend zerstört, als er mir nach einigen Wochen Beziehung eröffnete, sich gerade nicht sicher zu sein, ob er mich so richtig liebe. Trennen wolle er sich aber deswegen nicht; er sei ja gerne mit mir zusammen. „Auf was wartest du noch? Geh!“, möchte ich heute dem Mädchen von damals zurufen. Irgendwo habe ich mal den klugen Satz gelesen, dass man niemals bei jemandem bleiben sollte, der einem das Gefühl gibt, schwer zu lieben zu sein.
Das Mädchen, das ich war, entfernte sich zwar, blieb aber in Sichtweite sitzen. Tat nach außen noch immer unabhängig und hechelte innerlich nach jedem Brösel Zuneigung, den Sebastian fallen ließ. Auch wenn dieser Brösel vergiftet war. „Schau doch nicht so traurig“, sagte er manchmal. „Fröhlich bist du viel hübscher.“ Ich versuchte zu lächeln und erzählte mir und meinen Freundinnen, wie beschäftigt Sebastian gerade mit seiner Magisterarbeit sei und dass das seine Gefühle für mich herunterkühle.
Vielleicht blieb ich auch, weil er mir so schöne Comics zeichnete. Und weil es im Bett so gar nicht kühl war mit ihm. Da waren wir nah, intim, da ließ er sich fallen. Nur um dann eine halbe Stunde später wieder der intellektuelle Kopf zu werden, der mich mit seinem scharfen Verstand ebenso faszinierte wie auf Abstand hielt. Ein arroganter Sack, von sich selbst überzeugt und deswegen wohl auch so unabhängig, unbestechlich, fast zwanghaft ehrlich.
Er glaube, sagte er ein paar Monate später, mich jetzt wieder zu lieben: Kein Witz, so hat er es ausgedrückt. Vermutlich hat er gespürt, wie ich langsam resignierte, und hat mich deswegen erneut auf Armlänge herangeholt. Aber bloß nicht näher. Er schrieb mir sehr zarte Gedichte – und zischte keine zwei Wochen später in einem Streit, er bezweifle, dass ich nach ihm wieder einen Mann fände. Ich, inzwischen völlig brainwashed, wehrte mich zwar gegen diese Unverschämtheit, glaubte sie aber auch ein bisschen.
Heiß-kalt, nah-fern, Aufmerksamkeit-Abwertung: Dieses ständige Pendel-Muster ist mir erst sehr viel später aufgefallen, als ich schon lange nicht mehr mit Sebastian zusammen war. Ich habe Bücher über männlichen Narzissmus gelesen und mit ihrer Hilfe mehr Mosaiksteine gefunden: seine Empfänglichkeit für meine Bewunderung. Oder die Tatsache, dass Sebastians Mutter wegen einer schweren Krankheit monatelang im Krankenhaus lag, als er ein Kleinkind war. Dass er immer das Gefühl hatte, seiner kleinen, geistig behinderten Schwester nachgeordnet zu werden.
Das alles hat Sebastian mir natürlich nicht selbst erzählt, sondern seine Mutter, zu der ich eigentlich eine verlässlichere Beziehung hatte als zu ihm. Er ließ sich nicht ins Herz schauen – Gott bewahre! Was er preisgab, wie sehr er liebte, das maß er täglich neu und auf den Milliliter genau ab.
Mein Hin und Her mit ihm zeigt aber auch, dass ein Narzisst sein Beziehungsspielchen nicht alleine treiben kann: Es braucht eine tendenziell unsichere, ebenfalls narzisstisch gekränkte Persönlichkeit wie mich, damit die Partie in Gang kommt. Als wir unsere Beziehung nach zweieinhalb Jahren emotionaler Achterbahn und mehreren quälenden Fehlversuchen endlich wirklich beendeten, fühlte ich mich wie der letzte Mensch. Zum einen weil Sebastian mir das so oft erzählt hatte. Und zum anderen weil ich diesen wechselwarmen Mist so lange mitgemacht hatte.
Aber vermutlich hat es mir dann doch noch etwas gebracht: guten Sex, solidarische Nähe mit anderen geschädigten Frauen – und einen untrügbaren Narzissmus-Indikator. Sobald ich merke, wie jemand die Angel auswirft nach meiner Bewunderung, wie er, kaum habe ich angebissen, damit ruckt, mich mal hängen lässt, nur um mich dann wieder ganz nah ranzukurbeln, wie er Nähe herstellt über Dramen, mich herabwürdigt oder idealisiert, bin ich so was von raus. Stellt euch vor, es ist Welt-Narzissmus-Tag, und keiner geht hin.