Millimeterarbeit: Was tun, wenn Haare schneller wachsen sollen?

Das Drama auf meinem Kopf begann in dem Moment, als ich auf die Schnapsidee kam, mir würde es an französischer Lebenslust mangeln. Zum Ausgleich bestellte ich mir zunächst ein Kleid bei Rouje, dem Label von Jeanne Damas. Wer sie nicht kennt: fleischgewordenes Savoir-vivre-Girl aus Paris, das Mode entwirft und die Haare stets salopp bis zum Schlüsselbein trägt. Mehr French Chic geht nicht. Kurz darauf ließ ich mir 25 Zentimeter abschneiden. Einen Tag lang fühlte ich mich federleicht, frech und très français. Am nächsten Morgen bereute ich es bitter, nun einen Bob zu haben und in Wahrheit wie Kurt Cobain in seiner fusseligen Strickjacke 1993 bei MTV Unplugged auszusehen. Seit diesem Tag im letzten Herbst heule ich und versuche, mich mithilfe von Dreisatz (zu wachsende Haarlänge = gewünschte Haarlänge minus jetzige Haarlänge, blitzrechner.de/ haarewachstumsdauer) bei Laune zu halten.

Man sollte wissen: Vor meinem Jeanne-Damas-Desaster ließ ich mir zwei Jahre nicht einmal die Spitzen schneiden. Das hat was mit dem Yogastil zu tun, den ich praktiziere. Im Kundalini-Yoga sieht man Haare als Verlängerung des Nervensystems, als Antennen. Man verliere seine geistige Klarheit, wenn man die Spitzen kürzt. Auch in anderen Kulturen wird Haaren schon immer besonderer Zauber und große Bedeutung nachgesagt, sei es Samson in der Bibel, der die Kraft verlor, als man sie ihm nachts abschnitt. Oder der Kaiser in China, der dem gesamten Volk angeblich einen Pagenkopf schneiden ließ, um es zu schwächen. Ob man das für Quatsch hält oder nicht, Fakt ist: Haare wachsen pro Monat circa einen bis anderthalb Zentimeter. Im schlimmsten Fall dauert es zwei Jahre, bis meine Antennen wieder auf dem Stand vom vergangenen Herbst sind.

Bürsten, schlucken, sprühen: Was lässt meine Haare schneller wachsen?

Das ist viel zu lang. Es muss doch ein Mittel geben, das diesen Prozess vorantreibt. Und so rühre ich nun täglich Gerstengraspulver in meinen Tee. Das Superfood soll Haare rasant wachsen lassen. Auf der weiteren Suche nach einem Wundermittel stoße ich bei Instagram auf einen Post von Amanda Chantal Bacon, California Girl mit üppigem Hippie-Haar und Gründerin von Moon Juice, der Brand für Nahrungsergänzungsmittel, die mit Adaptogenen (das sind Pflanzenstoffe, die dem Organismus helfen sollen, sich erhöhten körperlichen und emotionalen Stresssituationen anzupassen) arbeitet. Denn bei Haarausfall spielt Stress eine große Rolle. Darunter leide ich zwar nicht, aber bei dem Wort „SuperHair“ geht es mit mir durch, und ich lege die Kapseln im Biomazing-Onlineshop für schlappe 65 Euro ins Warenkörbchen. Die nächsten zwei Monate nehme ich zum Tee mit Gerstengras täglich vier haarprachtversprechende Wunderkapseln.

Einen völlig anderen Ansatz hat Nam Satya. Die dänische Yogalehrerin macht für ihre Mähne, die bis zum Steißbein reicht, keine Kapseln, sondern Katze-Kuh verantwortlich. Das ist eine Übung, bei der man im Vierfüßlerstand zwischen Rund- und Hohlrücken wechselt: „Cat-Cow regt das gesamte Drüsensystem im Körper an, die Kopfhaut wird durchblutet, was für gesundes Haarwachstum nötig ist“, erklärt sie mir. Die gleiche Wirkung habe eine Kopfhautmassage mit Rosmarinöl (ätherisches Öl mit Mandelöl gemischt). Am wichtigsten sei aber das tägliche Bürsten mit einer Wildschweinborstenbürste, sagt Nam Satya. Fünf Minuten über den Kopf morgens, fünf Minuten abends. Übrigens wachsen Haare nur so lange, bis sie ihre volle Länge erreicht haben, und dieser Punkt ist bei jedem Menschen individuell verschieden. Lässt man sie wachsen, ist dieses Stadium nach drei Jahren final erreicht. Toller Nebeneffekt soll sein, dass das Protein, das der Körper für Haarwachstum aufbringen muss, dann für andere Prozesse eingesetzt wird. Heute früh stand ich vorm Spiegel und habe eine Entdeckung gemacht: feine Antennen. Ich glaube, meine Maßnahmen wirken – selbst ein Dutt geht schon wieder. Was Haare jedoch am allermeisten wachsen lässt, ist Geduld: Patience pays.

Autorin: Susanne Kaloff