Liebe & Partnerschaft

Seitensprung: Kann Untreue eine Chance für die Beziehung sein?

Frau macht ihren Ehering ab. | © iStock | solidcolours
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Bedeutet eine Affäre das Ende einer Beziehung? Oder lohnt es sich, dem Partner eine zweite Chance zu geben? Mit diesen Fragen befasst sich DONNA-Expertin Nicola Raßmann in ihrer Kolumne.

Eine Affäre ist ein Einschnitt für jede Beziehung: Entweder der Seitensprung führt zum endgültigen Liebesaus oder verursacht in einer fortgeführten Partnerschaft ständiges Misstrauen gegenüber dem untreuen Partner. In ihrer DONNA-Kolumne erklärt Paartherapeutin und Familienberaterin Nicola Raßmann, ob es sich lohnt, trotz Fremdgehen um die Beziehung zu kämpfen.

In zahlreichen Studien haben ca. 40 Prozent aller 60-jährigen Männer und 20 Prozent aller Frauen im selben Alter angegeben, schon einmal fremdgegangen zu sein. Ist lebenslange Treue ein Ideal, das heute nicht mehr zu halten ist? Seitensprünge sind in der paartherapeutischen Praxis ein immer wiederkehrendes Thema, wie die folgenden Beispiele (Namen geändert) zeigen:

2 Paare – 2 Wege, eine Affäre als Chance für die Partnerschaft zu nutzen

Carolin und Thomas

Carolin (41, Zahntechnikerin) und Thomas (48, Wirtschaftsingenieur) kamen in meine Praxis, nachdem herausgekommen war, dass Thomas mit einer wesentlich jüngeren Mitarbeiterin (Tina, 29) aus der Nachbarabteilung seiner Firma fremdgegangen war. Natürlich wollte er die Affäre geheim halten, aber die Beziehung zu der jungen Frau hatte ihn so verändert, dass er den Grund dafür nicht lange verheimlichen konnte. Laut Carolin war Thomas jetzt genau so, wie sie ihn sich immer gewünscht hatte – und das durch eine andere Frau. Er kümmerte sich plötzlich wieder um sein Äußeres, nahm einige Kilo ab, war gut gelaunt, witzig und zuvorkommend.

Thomas und Carolin waren seit 15 Jahren ein Paar und hatten zwei Kinder im Alter von zwölf und 14 Jahren. Die Sicherheit und Verlässlichkeit ihrer Beziehung war für beide angenehm, aber das Prickeln der Verliebtheit war verloren gegangen und erotische Ausbrüche aus dem Alltag kamen über all die Jahre viel zu kurz. Carolin arbeitete halbtags, kümmerte sich viel um Kinder und Haushalt und hatte einige ehrenamtliche Aufgaben übernommen. Thomas war in seinen Beruf sehr eingespannt und sportlich aktiv.

Nachdem Thomas mit Tina nach einem gemeinsamen Firmenseminar leicht alkoholisiert im Bett gelandet war, fühlte er sich in seine Studentenzeit zurückversetzt. Tina gab ihm das Gefühl, begehrt und einzigartig zu sein. Sie weckte seine eingeschlafene, kreative Seite. In den kommenden Wochen trafen sie sich heimlich immer wieder und Thomas machte Tina häufig kleine Geschenke. Tina war fasziniert von diesem reifen und erfahrenen Mann, der trotz allem seine Jugend nicht ganz verloren hatte. Sie verliebte sich in ihn. Das hatte Thomas nicht mit eingeplant. Er wollte seine sichere Ehe mit Carolin nicht aufgeben, sondern sich für eine Weile lieber die Rosinen aus beiden Beziehungen picken. Zwei Wochen nachdem Carolin ihren Mann auf die offensichtlichen Veränderungen angesprochen hatte und er ihr seinen Seitensprung gestanden hatte, rief Carolin völlig verzweifelt bei mir in der Praxis an.

Karin und Hans-Peter

Karin (47, Fotografin) und Hans-Peter (44, Industriedesigner) waren seit zwei Jahren liiert, als sie sich hilfesuchend an mich wandten. Karin hatte vor Hans-Peter mehrere feste Partnerschaften, von denen aber keine länger als fünf Jahre hielt. Als freie Fotografin war sie viel unterwegs, hatte unregelmäßige Arbeitszeiten und genoss ihre Unabhängigkeit. In Hans-Peter hatte sie endlich einen Partner gefunden, mit dem sie viele Hobbys teilen konnte. Beide reisten gerne und waren kulturell sehr interessiert.

Hans-Peter hatte gerade eine anstrengende Ehe hinter sich. Seine drei Kinder (neun, 13 und 15 Jahre) lebten bei der Mutter in den USA und er hatte kaum Kontakt zu ihnen. Darunter litt er sehr und sein Wunsch nach einer „Ersatzfamilie“ war groß. Als er Karin auf einer Fotoreise kennengelernt hatte, verliebt er sich sofort.

Die beiden suchten meine Hilfe, nachdem Karin auf einer Vernissage im Ausland einen Ex-Freund getroffen hatte und mit ihm im Bett gelandet war. Wieder zu Hause erzählte sie Hans-Peter von ihrem Seitensprung, da sie keine Geheimnisse vor ihm haben wollte. Für Hans-Peter brach dadurch eine Welt zusammen, er fühlte sich verraten, hilflos und einsam. Karins Beteuerungen, es sei nur ein One-Night-Stand gewesen, konnten ihn nicht beruhigen.

Nicht nur Sex, sondern der Wunsch nach Intimität und Nähe

Aus den vielen Paaren, die im Laufe der Jahre wegen einer Affäre in meine Praxis kamen, habe ich bewusst diese beiden ausgewählt. An Carolin und Thomas sowie an Karin und Hans-Peter wird sehr deutlich, warum es überhaupt zu Affären kommt, obwohl dadurch jede Beziehung zutiefst erschüttert wird. Affären sind selten geplant und in den meisten Fällen geht es dabei in erster Linie nicht um Sex, sondern um Nähe, Intimität und das Gefühl, wieder wahrgenommen und begehrt zu werden.

Affären sind meistens ein Lösungsversuch für Probleme in der Partnerschaft. So wie bei Carolin und Thomas kann ein vertrautes und sicheres Leben sehr berechenbar und damit auch langweilig werden. Geschieht dies sucht sich nicht selten einer der Partner in einem Seitensprung Abwechslung und Bestätigung. Thomas erlebt mit Tina emotionale Abenteuer und lange vermisste erotische Ausbrüche aus dem eingespielten Alltag.

Affären haben zudem ihren besonderen Reiz, weil sie die Hochgefühle der ersten Verliebtheitsphase in uns wecken. Thomas benimmt sich in Gegenwart von Tina wie ein verliebter Teenager. Solch emotionale Höhenflüge gab es mit Carolin schon lange nicht mehr. Auch Karin fühlte sich durch den One-Night-Stand mit ihrem Ex-Freund bestätigt, frei und selbstbestimmt.

Bei beiden Paaren ergaben sich die Affären ungeplant und aus einer günstigen Gelegenheit heraus. Die Firmenfeier, das Seminar, die Party mit viel Alkohol – viele Seitensprünge beginnen so. Wir sind alle mobiler als früher, viel unterwegs, treffen viele Menschen und somit ergeben sich viel mehr Gelegenheiten für eine Affäre. Wer gezielt nach einem Seitensprung sucht, wird auf Online-Portalen und bei Dating Apps fündig.

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Nach dem Seitensprung: Die Chancen einer Paartherapie

Kommen Paare zu mir in die Praxis und es wird klar, dass es sich um eine Dreiecksbeziehung handelt, ist es mir sehr wichtig, niemanden moralisch zu verurteilen und nicht in den Kategorien „Täter“ und „Opfer“ zu denken. Natürlich ist die Situation für den betrogenen Partner schwieriger und löst heftigste Gefühle aus. Dennoch sollte man einen Seitensprung nicht verteufeln, sondern als Lösungsversuch für bestehende Probleme in der Beziehung verstehen. Meist handelt es sich um Paare, die es bisher nicht gewöhnt waren, miteinander zu reden und Schwierigkeiten damit haben, Wünsche, Bedürfnisse und Ängste mitzuteilen. Manchmal kommen auch Paare zu mir, die vor der Affäre in gegenseitiger Idealisierung und in Harmonie erstarrt waren.

All diese Paare können in der Paartherapie lernen, wieder gut miteinander zu kommunizieren und ihre Konfliktfähigkeit zu entwickeln. Wichtige Voraussetzung für die Beratung ist dabei die Bereitschaft beider Partner, sich auf einen offenen Prozess einzulassen.

Trennung oder Neustart für die Liebe?

Im Fall von Carolin und Thomas ist es gelungen herauszufinden, aus welchem Zusammenspiel von Verhaltensmustern in ihrer Beziehung sich die Außenbeziehung mit Tina überhaupt erst ergeben konnte. Durch das Aufrollen ihrer Paargeschichte wurde deutlich, dass ihre Ehe nur mehr durch die gemeinsamen Kinder und die Hypothek auf das Haus zusammengekittet wurde. Liebe, Zärtlichkeiten und Eros hatten schon lange keinen Platz mehr. Keiner der beiden fand den Mut, dem anderen seine Wünsche und seinen Kummer mitzuteilen. Das Ereignis der Außenbeziehung ließ nun kein Ausweichen vor diesen Auseinandersetzungen mehr zu. Carolin und Thomas stellten sich gemeinsam diesen Herausforderungen und kamen nach einigen  Monaten mit Hilfe der Therapie zu der Entscheidung, ihrer Ehe eine neue Chance zu geben.

Auch Karin und Hans-Peter haben sich diesem Prozess gestellt. Im Laufe der Beratung wurde beiden deutlich, dass ihre Beziehung auf einem sehr wackeligen Fundament aufgebaut war. Hans-Peter erkannte, dass er noch sehr mit seiner Ex-Frau und den Kindern verstrick war und in Karin eine Art Rettung gesucht hatte. Tatsächlich war er noch gar nicht frei für eine neue Beziehung. Karin hatte sich von Anfang an eingeengt gefühlt. Als sie sich kennenlernten, hatte sie Mitleid mit Hans-Peters Schicksal und genoss die Anerkennung und Bewunderung, die er ihrer Arbeit als Fotografin gegenüber hatte. Beide erkannten, dass weder Einsamkeit, noch Mitleid ein stabiles Fundament für eine Beziehung bilden und dass die gemeinsamen Interessen dies nicht ausreichend ausgleichen konnten. Sie entschlossen sich zu einer Trennung.

Schafft es ein Paar im Laufe der Therapie, den Schmerz und die Gekränktheit, die eine Affäre mit sich bringt, zu überwinden, bietet sich beiden Partnern die Chance, über nicht Gelebtes in der Beziehung und im eigenen Leben ins Gespräch zu kommen und die zugrundeliegenden Blockaden erfolgreich zu lösen.

 

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